Sequenz 1: Bildbetrachtung
Die Lehrkraft betrachtet mit den Schülern die Arbeit:
Der Ausbrecher, (1925) des Künstlers Max Ernst.
Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Frottage (vgl. Dokument 1), bei der der Künstler mit einem Zeichengerät verschiedene Oberflächen- strukturen auf einem Blatt zu einem Phantasietier zusammengesetzt hat. Entstanden ist ein „Seltsames Tier“, über dessen Herkunft, Zugehörigkeit und Verhalten im Verlauf der Bildbetrachtung die Schüler ihre Meinungen austauschen können. Um den Schüler die Kontaktaufnahme mit dem ungewöhnlichen Tier zu erleichtern, empfiehlt es sich, die Arbeit des Künstlers auf ein A4-Blatt zu kopieren und jedem Klassenmitglied vorzulegen. In einer freien Annäherung, die zeichnerisch oder schriftlich (in der Muttersprache und nach Möglichkeit in der Fremdsprache) passieren kann, halten die Schüler ihre Gedanken zu dem Phantasiewesen fest. Die Schüler können dabei zuerst den Hintergrund gestalten: beschreiben oder zeichnerisch andeuten. Dabei können bekannte Inhalte aus dem vorangegangenen Modul „Tiere - bei uns, bei Euch und woanders“ aufgegriffen und wiederholt werden. Die Lehrkraft kann diese Phase folgendermaßen einleiten:
Wo könnte dieses Tier wohnen? Wie stellt Ihr Euch den Lebensraum des Phantasietieres vor? Wer könnte mit diesen Wesen die Heimat teilen? Welche Nahrung (auch diese könnte von den Schülern im Umfeld des Tieres zeichnerisch oder schriftlich dargestellt werden) könnte auf dem Speisezettel dieses Wesens stehen?
Solche oder ähnliche Fragen sollen die Phantasie der Schüler herausfordern. Der spielerische Umgang mit dem zuvor vermittelten Wissen steht dabei im Mittelpunkt. Besonders spannend an dieser Aktivität ist der individuelle Umgang mit dem vermittelten Wissen. Je nach dem, wie der Lerner das Tier sehen möchte, kann er entsprechend den Hintergrund entstehen lassen: erkennt ein Schüler in dem Wesen einen Fisch, so wird er das Umfeld wohl als Wasserlandschaft andeuten. Deutet ein Schüler das Wesen jedoch eher als Vogelgestalt, so wird er sich an die zuvor behandelten Inhalte zu den Tierarten und -gruppen erinnern und wird entsprechende Elemente dieses Lebensbereiches darstellen.
Im Anschluss an die zeichnerische und schriftliche Annäherung an das Phantasiewesen von Max Ernst folgt der mündliche Vergleich im Klassenverband. Die Schüler versprachlichen nun ihre Phantasien zu dem „Seltsamen Wesen“ und informieren sich dabei über individuelle Ansichten ihrer Mitschüler. Dieser Gedankenaustausch ist zumeist für die Klasse ein sehr spannender Moment, da die Schüler oft überrascht sind, welche Blickrichtungen eine so einfache Frottage noch eröffnet, als die von ihnen verfolgte. Das Gespräch, welches in der Muttersprache, aber auch in der Fremdsprache stattfinden kann, wird von der Lehrkraft geleitet. Sie sammelt verschiedene Standpunkte, Ansichten und Argumente und überträgt sie gegebenenfalls in die Fremdsprache. Besonders bei gegensätzlichen Auffassungen lohnt es sich, diese zur Diskussion zurück in die Klasse zu geben. Wichtig ist die jeweilige Begründung für die Bildentscheidung: Das Tier wohnt auf einem Baum, weil es ein Vogel ist. Es hat einen Schnabel... Dabei kommt es nicht darauf an, den einen oder anderen Deutungsansatz als richtig oder falsch zu benennen. Vielmehr sollte im Klassengespräch die Vermischung von verschiedenen Tierklassen erkannt und als einmalige Chance des Umgangs mit Tieren im künstlerischen Sinne und in der Welt der Gedanken erkannt werden.
Es ist natürlich auch möglich, die Bildbetrachtung mit einer gemeinsamen Phase zu beginnen, bei der erst einmal verschiedene Betrachtungsgrundmuster vergleichend zusammengetragen werden können. Handelt es sich um einen Vogel oder einen Fisch? Lebt das Tier auf dem Land, in der Luft oder im Wasser? (vgl. Modul 1) Dabei wird jedoch der individuelle Blick eines jeden Schülers bereits auf vorgegebene Linien geführt – die freie Phantasieentfaltung eines jeden Klassenmitglieds würde eingeschränkt.
Diese Art der Bildbetrachtung bringt die Schüler jedoch andererseits zum genauen Hinschauen und Betrachten der vorgegebenen Grafik. Sie müssen die bildlich vorgegebenen Impulse mit ihrem Wissen über die Tierwelt abgleichen und anschließend über Zugehörigkeiten und Merkmale des Wesens entscheiden. Der spielerische Ansatz ermöglicht einen freien Umgang mit dem Bildmaterial. Solange eine Gestaltungsentscheidung begründet werden kann (im Hintergrund Wasser oder eben doch ein Vogelnest), gibt es keine falschen Ergebnisse. Bestimmte formale Aspekten der Grafik verbinden die Schüler individuell mit inhaltlichen Elementen und ordnen dementsprechend passende Merkmale des Lebensraumes im Umfeld und Hintergrund des Tieres zu. Durch die geforderte Gestaltung des Hintergrundes des Bildes werden die Schüler ungemerkt zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Bildgegenstand geführt. Fragen wie, was hat der Künstler wohl dargestellt? Was soll das sein? entfallen. Da sie eher ein Unverständnis dem Abgebildeten gegenüber provozieren.